Interview Kai Schmidhuber

 
Die Unternehmensrealität wird
 
in keinster Weise mehr reflektiert
 
 
Interview mit Kai Schmidhuber
 
Mehrfachgründer und Top Executive
u. a. Henkel, DHL und l‘Oréal

Kai Schmidhubers Spielfeld ist das Digitalmarketing. Aktuell arbeitet er als Chief Digital Officer für L’Oréal, pflegt einen Marketing Podcast, ist Vorstand des Marketing Clubs Düsseldorf – und hat noch ein Unternehmen für Glückskekse. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Schmidhuber bezeichnet sich selbst als „Serial Entrepeneur“.

 
Herr Schmidhuber was motiviert Sie zu diesem bunten Mix an Aktivitäten? Und wo ist die inhaltliche Klammer?

Die inhaltliche Klammer - und damit auch mein Hauptantrieb - ist es, neue Dinge zu lernen und neue Dinge zu erschaffen. Ich helfe Unternehmen dabei, sich neu zu erfinden. Und das schöne ist, dass ich mich dabei auch immer selbst neu erfinden muss. Die erste kommerziell und völlig autonom fliegende Paketdrohne starten lassen - noch vor Amazon und Google? Was für eine Challenge! Nehme ich gerne an! Travel Retail revolutionieren und die größten Airports dieser Welt fit machen für E-Commerce? Klingt supercool. Will ich machen. Veränderung managen und für alle Mitarbeiter greifbar machen, sie auf das Thema einschwören? Das ist mein Job! Ich bin dabei. So in etwa laufen die Denkprozesse in meinem Kopf ab. Je vertrackter und verzwickter die Ausgangslage, desto lieber ist mir die Aufgabe.

Sie haben diverse Unternehmen von innen gesehen – was bereitet Ihnen Sorge?

Es klafft häufig eine sehr große Lücke zwischen Veränderungsbereitschaft und Veränderungswillen. Etwa wie beim Zahnarzt. Man weiß, dass man hin muss. Man weiß auch, dass es wehtun könnte. Aber da muss man durch. Und manchmal dauern derartige Prozesse extrem lange - zu lang - um mit dem Wettbewerb und den gestiegenen Kundenanforderungen mithalten zu können. Meine Spezialität ist es, die Unternehmen zur Veränderung zu bewegen. Erst ganz langsam. Und dann: zack, ist der Zahn raus.

Sie bemängelten bereits 2016 eine Digitalisierungs-Hysterie. Getrieben von der Angst abgehängt zu werden, würde vieles für zuviel Geld digitalisiert. Sehen Sie das immer noch so?

Es wird eher dramatischer. Das Hauptproblem ist, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen der Situation im Unternehmen und der in den Medien, Fachzeitschriften und auf Konferenzen dargebotenen Buzzwords gibt. Es wird oft über Dinge geredet, die die Unternehmensrealität in keinster Weise mehr reflektieren. Das sorgt für Angststarre. Reden heute alle über Data Science, braucht es im Unternehmen vielleicht zunächst mal eine Excel-Schulung.

Gestern Facebook, heute Instagram, morgen Tik-Tok. Ist Omnichanneling die Lösung, um noch die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden zu gewinnen?

Wenn Sie Ihre Kunden ausschließlich auf Wochenmärkten antreffen, müssen Sie keinen Online Shop bauen. Aber Ihre Kunden lassen sich vielleicht von gut gemachten Fotografien ihrer Produkte, meinentwegen Gemüse und Obst, inspirieren. Und das könnten Sie über Instagram begleiten. Worauf ich hinaus will: es sollte niemals darum gehen, was alles "möglich" ist. Sondern darum, was der Kunde erwartet. Ich spreche daher lieber von "Customchannel" anstelle von "Omnichannel".

Wir suchen echte Effizienznachweise im digitalen Marketing. Haben Sie einen?

Da gibt es inzwischen sehr, sehr viele. Insbesondere in meiner Arbeit als Chief Digital Officer in der Beauty-Branche habe ich eine Vielzahl spannender Cases mit den Teams im Haus erarbeitet. Unabhängig davon ist ein absoluter Best Case das Thema "Reviews & Ratings". Hier gibt es eine direkte Korrelation zwischen der Anzahl und Güte der Bewertungen ihrer Produkte. Sie sollten alles daran setzen, auf diesem Thema ihren maximalen Fokus zu setzen. Und zwar noch VOR dem Produktstart, noch VOR dem Start ihrer Marketingmaßnahmen. Bewertungen sind ein enormer Multiplikator ihrer Marketing-Einsätze.

Das Interview mit Kai Schmidhuber erschien auf lout.plus